Ermonela Jaho ist eine der herausragenden Sopranistinnen der Gegenwart. Eine fast altertümliche Primadonna. Sie brennt für zerbrechliche starke Opernfiguren. Der Kinofilm „Fuoco sacro“ porträtiert sie jetzt. Eine Begegnung.
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Ermonela Jaho erfüllt nur wenige der üblichen Karriereparameter einer Starsopranistin. Außer, dass sie heute auf der Bühne der größten Opernhäuser von New York bis Paris, Sidney bis Madrid, London bis Wien, München bis Berlin steht. Und dass sie eben das „heilige Feuer“ hat, das auf der Szene lodert und leidenschaftlich brennt, das mitreißt und berührt. Jenes heilige Feuer, das Jan Schmidt-Garre Filmporträt „Fuoco sacro“ den Namen gab, das jetzt im Kino anläuft.
Diese Stimme und diese Persönlichkeit sind so besonders. Ermonela Jaho geht vollkommen in einer Rolle auf, gibt immer hundert Prozent, kennt keine Routine, singt jeden Abend, als wäre es der letzte ihrer Karriere. Sie kann einfach nicht anders. Doch ihre Entäußerung bleibt kontrolliert, sie regiert und dirigiert ihre Figur, wird nicht nur mitgerissen von Handlung und Klängen.
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„Ich musste mich immer beweisen“, sagt sie im Film und auch im Gespräch, „weil ich aus Albanien komme, das nach dem Fall des Eisernen Vorhangs keine gute Reputation hatte, auf das man herabsah. Ich musste immer besser sein als die anderen.“
Ermonela Jaho tat das – wie die meisten albanischen Sänger, wie Inva Mulo oder Saimir Pirgu – in Italien, wo sie sich perfektionierte. Die Albaner singen gern, pflegen eine besondere, folkloristische Form der Mehrstimmigkeit, Iso-Polyphonie genannt. In Italien wurde Katia Ricciarelli ihre Mentorin. Ihr erstes bedeutendes Engagement war Puccinis Mimì in Bologna. Inzwischen lebt sie mit ihrem Mann auf Long Island und singt auf der ganzen Welt.
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Die femmes fragiles sind Jahos Spezialität, die zerbrechlich, aber gleichzeitig auch stark sind. Ermonela Jaho – ein perfektes Gesamtkunstwerk aus Auftreten, Spiel und Stimme – ist heute die ideale Violetta, Madama Butterfly, Suor Angelica, Marguerite, Adriana Lecouvreur. Obwohl sie auf die Fünfzig zugeht, hat sie mit ihren hohen Wangenknochen, den großen dunklen Augen, der sehnig biegsamen Figur immer noch etwas anrührend Juveniles.
Man möchte sie beschützen, obwohl sie sich musikalisch grandios verteidigt, den Raum mit Klang und Gefühl flutet. Selbst wenn sie als Butterfly vor nur fünfzig Zuschauern stirbt, wie im Corona-Lockdownherbst 2020 in München geschehen. Es saß keiner im Saal, der bei ihrem Harakiri im Augenwinkel keine Träne hatte.
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Diese Aura, diese Hingabe, dieses Unbedingte, die Musik auf den dramatischen Punkt Bringende, das teilt sie im Film auch mit zwei anderen Sängerinnen, Barbara Hannigan und Asmik Gregorian. Die eine vollführt es auf eine zeitgenössisch toughere Weise, bei der anderen wirkt das sich Ausliefern an die Rolle moderner, juveniler.
Ermonela Jaho ist gewissermaßen eine altmodische Primadonna, aber keine Diva, weil sie die Rollen wirklich in jeder Körperfaser und jedem Ton mitbebt, mitlebt, mitatmet. Und wenn man das Glück hat, sie zu erleben, spürt man es sofort. Sie hat eine magische Ausstrahlung, die sich ganz langsam Bahn bricht, einer antiken Sirene gleich; auch wenn ihr Gesang niemanden in den Tod treibt, nur zu Tränen.
Das Geheimnis der Bruststimme
Jan Schmidt-Garre versteht sein „Fuor Sacro“ als eine Art inoffizielle Fortsetzung seines mehr als zwanzig Jahre alten Roadmovies „Opera Fanatic“, wo er mit dem freakigen Fan Stefan Zucker im VW-Bus durch Italien zuckelte und die damals noch lebenden Gesangsdiven der Fifties und Sixties nach dem Geheimnis der Bruststimme befragte.
Die skurrile Mischung und Exzentrik und Devotion dieser Frauen, ihre Eitelkeit wie Ergebenheit an den Beruf als Berufung, faszinierte. Und eine ähnliche Flamme sah er eben jetzt in der Jaho brennen.
Ursprünglich sollten für den Film noch einige ihrer Signatur-Arien eigens inszeniert werden, Krankheit verhinderte es. Aber auch das passt irgendwie. So eine Kunst, wie die der Jaho, ist letztlich kaum zu fassen, festzuhalten, nur flüchtig zu erhaschen und zu genießen. Dann freilich verzaubert und verwandelt sie.
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Es bleibt dieser sehr besonderen Sängerin zu wünschen, dass sie wenigstens einmal noch auf den großen Divenflüsterer Christof Loy treffen kann. Denn der Regisseur liebt sie und den Verismo als Spielplatz großer Singpersönlichkeiten.
Leider klappte es bisher nicht mit den Terminkalendern, aber auch ein toller Regisseur wie Tobias Kratzer hat aus Ermonela Jaho als Gounod-Gretchen wie als Offenbach-Antonia noch einmal neue Tonfacetten herausgelockt.
Ermonela Jaho in "La Traviata"
Einige Rollen will sie langsam ablegen, aber gerade der Verismo mit seinen vielen, zu entdeckenden Frauenfiguren interessiert sie: „Auch die müssen immer kämpfen und sind viel besser als ihr Ruf in der Musikgeschichte.“ Alfanos „Risurrezione“ nach Tolstoi steht als Nächstes in Venedig auf Ermonela Jahos Novitätenplan.
Und zum Glück kann sie ganz entspannt bleiben, als sie von Mascagnis „Lodoletta“ erzählt, und man diese Oper für einem Moment mit dessen „Isabeau“ verwechselt. In dieser Lady-Godiva-Adaption müsste sie nämlich nackt aufs Pferd. Und so heiß brennt nicht einmal das heilige Feuer der Ermonela Jaho….