Was denkt eine Sängerin, wenn sie auf der Opernbühne steht? Wenn sie als Salome den abgeschlagenen Kopf von Jochanaan küsst oder als Madame Butterfly stirbt? Der Dokumentarfilmer und Opernregisseur Jan Schmidt-Garre will es wissen und setzt drei Sopranistinnen Kopfhörer auf. Sie hören ihren eigenen Gesang und verraten dazu leise ihre Gedanken. „Atem. Luft. Rücken. Raum.“ Oder, als Salome: Wo liegt der Lippenstift? Und „Nicht drücken. Zumachen. Ich liebe dich sehr.“
Die Opernstars in diesem Film, die Albanierin Ermonela Jaho, die Litauerin Asmik Grigorian und die auf Neue Musik spezialisierte Kanadierin Barbara Hannigan, haben sich auf das Experiment eingelassen.
Nicht dass sich das Geheimnis des „Fuoco sacro“, so der Filmtitel, also des heiligen Feuers der großen Opernstimmen, tatsächlich lüften ließe. Aber der Film nähert sich dem Feuer an (und verbrennt sich mitunter daran), mit dem freien, wilden Assoziieren via Kopfhörer, mit intimen Nahaufnahmen während der Proben und Aufführungen, und mit Gesprächen.
Über die Seele, die jede noch so schöne Stimme spätestens nach zehn Minuten braucht, wie Ermonela Jaho sagt. Über den Schutzraum, ohne den Entblößung nicht möglich ist. Über die Kanalisierung des eigenen Leids. Eine gequälte Seele hilft in der Kunst, so Jaho. Sie sagt es vorsichtig, fast entschuldigend.
Die Technik ist das eine, die Arbeit mit dem Instrument des eigenen Körpers, dazu die Rituale. Grigorian spricht den Arientext mit grotesk eingezogenen Lippen und gluckert mit Strohhalm ins Wasserglas. Jaho trainiert ihre von einer Luftröhrenentzündung bedrohte Stimme knieend auf einem Medizinball. Hannigan zieht die Töne mit weit ausholenden Armbewegungen gleichsam in sich hinein.
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Barbara Hannigan, die auch dirigiert, singt Mahler als Maestra am Pult, sie ist gleichsam die Intellektuelle im Trio der Protagonistinnen. Aber auch sie spricht davon, dass sie Debussys Melisande nicht interpretiert, sondern verkörpert. Keine Distanz: Wenn sie Saties „Socrate“ singt, begleitet von ihrem langjährigen, schwerkranken Pianisten-Freund Reinbert de Leeuw im letzten Konzert vor dessen Tod, färben die Zerbrechlichkeit und die Tapferkeit ihres Begleiters auf ihren Gesang ab.
Das Andere ist der große, unerklärliche Rest. Auch wenn das Prätentiöse der Regisseurs-Kommentare aus dem Off manchmal stört, lohnt sich „Fuoco sacro – Suche nach dem Heiligen Feuer des Gesangs“ wegen der Nähe, die die Sängerinnen der Kamera erlauben.
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So kann man es ahnen, das nackte Nervenkostüm in der Garderobe, während die Schminke aufgetragen wird, und die Notwendigkeit, die Bühnenbretter zu berühren oder wie in Trance in den Kulissen herumzugehen, kurz bevor der Vorhang hochgeht. Sich hingeben, öffentlich, bei höchstem Risiko: Grigorian erwähnt unverblümt die Panikattacken, unter denen sie lange gelitten hat, auch die Medikamente, die sie brauchte.
Am bestürzendsten schließlich die Close-ups auf der Bühne selbst, etwa bei Jahos haltlosem Piano als „Suor Angelica“. Bei der Probe ist Maestro Kirill Petrenko hingerissen, er verspricht, mit dem Orchester zu verschwinden, damit sie ihre Spitzentöne so schmerzhaft leise zurücknehmen kann.
[In Berlin ist "Fuoco sacro - Die Suche nach dem Heiligen Feuer des Gesangs" in der Astor Film Lounge zu sehen.]
Gespielt ist da nichts mehr, wenn sich Asmik Grigorian während ihres legendären „Salome“-Auftritts bei den Salzburger Festspielen 2018 dem irrlichternden Wahn ihrer Figur hingibt und mit der Rolle verschmilzt. Oder wenn Ermonela Jaho als Violetta in Verdis „La Traviata“ um Atem ringt, ihr Leben aushaucht, mit versagender Stimme. Die Tränen, die Erschöpfung, die Einsamkeit, alles verinnerlicht sie in ihrer Stimme. Da stirbt tatsächlich ein Mensch auf offener Bühne.
Zu den großen Momenten des Films zählt der Schlussapplaus nach Verdi, als Jaho sich von ihrer Violetta nicht lösen kann und verstört vors Publikum tritt, ein verlorenes Kind. Sängerinnen, die ganz großen, können zu Zombies werden. Sie lassen ihr Leben im Dienst der Musik und kehren als Gezeichnete zurück.